Winter – quo vadis

Tirol im Winter 2028. Ein Enkel geht mit seinem Opa zur Weihnachtszeit spazieren. Vor einer Krippe machen beide Halt. Der Enkel betrachtet die Figuren und das Stadl. Dann fragt er: „Opa, was ist das weiße Zeug auf dem Dach des Stalls?“ Der alte Mann runzelt die Stirn und antwortet: „Das nennt man Schnee. Diese weiße Substanz fiel früher, wenn es sehr kalt war, wie Regen vom Himmel. Wenn eine große Menge davon fiel, konnte man mit zwei Brettern, genannt Ski, an den Füßen die Hänge herunterfahren. Das machte den Leuten viel Spaß. Der Schnee bescherte vielen Menschen Arbeit und Wohlstand, weil wiederum andere Menschen von überall hierher in die Berge kamen, um Ski zu fahren und Urlaub zu machen. Als ich in deinem Alter war, schneite es von November bis April – manchmal bis Mai. Aber das ist lange her.“

So oder so ähnlich werden wir vermutlich den nächsten Generationen erklären, was es einmal gab und was es durch die klimatischen Veränderungen nun nicht mehr geben wird – den Wintertourismus.  Oft ist der vielbeworbene Wintertraum nur durch hohen Einsatz von Ressourcen aufrecht zu erhalten: Weiße Schneebänder auf olivgrünen Hängen sind das beste Beispiel. Das Hauptargument für diese Perversion, die nur durch den hohen Einsatz von Ressourcen möglich ist, ist die Sicherung der Wirtschaft sowie der damit verbundenen Arbeitsplätze. Im Prinzip ist es gut, dass der Tourismus in Tirol und anderen Alpenregionen durch den Winter floriert und für allgemeinen Wohlstand sorgt. Doch es gibt mehr zu bedenken. Der natürliche Schnee wird immer seltener. Daher wird auf künstliche Beschneiung gesetzt, die auch nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen kann. Die Voraussetzungen, um Kunstschnee zu produzieren, bedingen schon jetzt viel Kapital für Investitionen und Unterhalt, Wasser, Speicherteiche und aufwendige Technik.

Zieht man den Umstand hinzu, dass die winterlichen Durchschnittstemperaturen in den kommenden Jahren weiter ansteigen werden, so ist von einer wahren Explosion der Kosten auszugehen. Das wird sich unweigerlich in den Preisen für das Herunterwedeln auf der Piste niederschlagen. Schon jetzt werden die Preise der Skikarten – Tageskarten für 50 € und mehr sind keine Seltenheit – breit diskutiert. Skisport entwickelt sich vom Breitensport hin zum Vergnügen für Privilegierte. Der Familienausflug oder Winterurlaub für Familien wird zum Luxus – auch vor dem Hintergrund der Entwicklung von Löhnen und Gehältern. Ein Umdenken im Tourismus ist vielerorts nicht erkennbar.  Sicherlich gibt es Skigebiete, die sich sehr wohl mit Planungen beschäftigen, wie Wintertourismus zukünftig aussehen kann. Es hat aber den Eindruck, dass die Masse der Touristiker lieber die Augen verschließt und bei Gewohntem bleibt: Das erschaffene Monster „Tourismus“ muss bei Laune gehalten werden und weiter seine Opfergaben erhalten. Nur – irgendwann wird man den „Hunger“ dieses Ungetüms nicht mehr stillen können. Kapital und Technik werden nicht mehr ausreichen, um 100 prozentige Schneesicherheit zu garantieren. Was ist dann? Die trügerische Sicherheit der Wirtschaft mit ihren Arbeitsplätzen käme schließlich nicht nur ins Wanken, sondern zum Fall.

Warum erfolgt hier kein – wahrnehmbares – Umdenken und keine Adaption an die Gegebenheiten? Noch ist Zeit. Ein kleiner Einschnitt zu Beginn ist weniger schmerzhaft als eine komplette Amputation. Vielfach liegt es an veralteten Denkmustern, Phantasielosigkeit und dem Mut, andere Wege zu gehen. An Ideen und Konzepten mangelt es nicht. Zahlreiche Publikationen schildern Optionen, auf Fachtagungen werden Lösungen besprochen. Man müsste es nur umsetzen – wenn man es denn will. Die Zeiten werden für viele, die vom Wintertourismus abhängig sind, kaum einfacher.

Alexander Schöffmann

Photo by Shane Hauser