Mut zur Lücke

Wer hat sich nicht schon einmal ausgemalt, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen? Sein eigener Chef zu sein, sich seine Zeit frei einteilen können – und vor allem seinen eigenen Traum zu leben?

Selbständig zu sein hört sich immer gut an! Das klingt nach Freiheit, oder? Aber was ist eigentlich alles nötig für den Schritt in die Selbständigkeit? Wie fühlt es sich an, diesen Weg zu gehen? Was sind die Chancen und Herausforderungen?

Um diese Gedanken und ersten Schritte plastisch darzustellen, nehme ich meinen Weg in die „berufliche Freiheit“ als Beispiel: Es war nie mein großer Plan, mich selbständig zu machen. Niemand in meinem näheren Umfeld war jemals ein Unternehmer, den ich als Vorbild hätte nehmen können. Die Lohnarbeit bildete die Basis meiner Erfahrungen. Was sich alles im Leben ändern kann, wenn man den Job wechselt, erfuhr ich zum ersten Mal durch das Übersiedeln nach Wien. Neben meiner beruflichen Tätigkeit änderte sich auch mein soziales Umfeld. Wien bot mir neue Möglichkeiten.

Als begeisterter Tänzer fand ich schnell in einem Turniertanzclub Anschluss. Es gab Paare, die drei Mal täglich trainieren konnten. Auf meine Nachfrage, wie sie das schaffen, erfuhr ich, dass sie selbstständig waren. Je mehr Kontakt ichzu ihnen hatte, umso interessanter wurde der Gedanke der Selbstständigkeit. Zeitgleich bekam ich auch in meiner Heimat vermehrt Kontakt zu Selbstständigen. Nach und nach reifte in mir der Entschluss, mit meinem Hobby etwas Geld nebenbei zu verdienen. Ich gründete eine Tanzschule. Meine Festanstellung gab mir finanzielle Sicherheit. Was sich jedoch rasch als Problem erwies, war die Zeit. Einerseits lief die Tanzschule immer besser,  andererseits musste ich natürlich auch meinen Verpflichtungen dem Beruf gegenüber nachkommen.

Um beides besser zu koordinieren, suchte ich mir schließlich ein Dienstverhältnis in der Nähe meiner Heimat. Es funktionierte, ich bekam die Tanzschule und einen Bürojob unter einen Hut, aber das Resultat war eine Sieben-Tage-Woche. Zugegeben, mit der Zeit ging das an die körperliche und geistige Substanz. Ich musste mich für eines von beiden entscheiden. Irgendwann, nach vielen Gesprächen mit Freunden, entschloss ich mich, mich mit einer Kommunikationsagentur ganz selbständig zu machen und meinen „Brotjob“ an den Nagel zu hängen. Um diesen Weg konsequent zu gehen, besann ich mich auf meine kaufmännische Ausbildung und meine Erfahrungen als Ckontroller. Sie wurden der Grundstein für den Geschäftsaufbau. Viele Gespräche mit der Familie, Freunden und der WKO folgten. Ein professioneller Businessplan hielt meine Idee professionell auf Papier fest. Die betriebswirtschaftlichen Aspekte des Plans stellten für mich kein Hindernis dar.

Für die richtige Formulierung holte ich mir Hilfe bei einem Berater, der freiberuflich für die WKO tätig ist. Obwohl alle Fakten und Zahlen schließlich vorlagen, kamen Zweifel in mir auf: Würde der Best Case eintreten, wäre natürlich alles „in Butter“. Im Fall des Worst Case allerdings wäre meine Existenz gefährdet. Natürlich hätte ich mir meine Berechnungen mit besseren Zahlen schönfärben können. Das ließ jedoch meine Berufsehre als Controller nicht zu. Meine Zweifel an der Selbstständigkeit nahmen zu, je mehr ich hin und her rechnete. Meine Stärke zu prüfen und zu hinterfragen wurde mir fast zum Verhängnis – als Controller bin ich es gewohnt, mit Zahlen und Kennzahlen umzugehen und mir ein reales Bild der Sachlage zu machen. Das tat ich täglich für andere. Der Haken: Dort hatte ich, im Gegensatz zu meinem Anliegen, die nötige emotionale Distanz. Hier sah es anders aus. Es betraf mich selber.

Je öfter ich die Zahlen meines Businessplans betrachtete, desto mehr wollte ich die Idee „Selbständigkeit“ wieder fallenlassen. Das Produkt war da, der Markt ebenso und der Businessplan bestätigte es – eigentlich hatte ich alles, um loszulegen, zumindest der Theorie nach.

Dennoch fehlte mir das wichtigste Stück in meinem Puzzle: die Sicherheit – so dachte ich. Da fiel mir ein Spruch aus meiner Militärzeit ein: „Wer alles sichert, sichert gar nichts“.

Mir wurde klar: Es braucht den Mut zur Lücke. Das wichtigste Stück in meinem Puzzle war der fehlende Mut. Genau den braucht man, um gewohnte Wege verlassen zu können, um ins Unbekannte zu gehen, , etwas zu wagen und zu riskieren. Ohne diese unternehmerische Eigenschaft, ein Risiko auf sich zu nehmen, funktioniert die beste Idee nicht, weil man sie schlussendlich aus Mutlosigkeit nicht umsetzt.

Der Weg in die Selbständigkeit ist sicher kein einfacher, aber mit guter Beratung, einem interessanten Produkt, gut recherchierten und berechneten Zahlen sowie einem gesunden Maß an Risikobereitschaft wird sich dieser Weg auszahlen – auf dem Konto und auch für sich selbst.

Photo by: Joe Gardner